Leben ist Veränderung – Aber wo ist unsere Begeisterung für die Zukunft geblieben?

Nichts ist in Stein gemeißelt – erst recht nicht die Zukunft. Es obliegt unserer Vorstellungskraft, ein erstrebenswertes Bild von morgen, von einer nachhaltig und gesund lebenden Gesellschaft zu zeichnen. Jeder hat die Fähigkeit dazu. Warum wir uns mehr Zeit nehmen sollten, über Visionen zu streiten. Dieser Artikel von mir erschien 2021 im Unternehmensbericht der AOK Baden-Württemberg.

Um auf Zukunftsentwicklungen nicht nur passiv zu reagieren und Innovationen hinterherzujagen, sondern Zukunft selbst zu gestalten, braucht es eine positive Haltung gegenüber Wandel und ein Bewusstsein für die eigene Gestaltungskraft. Aktuell ist leider das Gegenteil der Fall – bei vielen Menschen und Unternehmen besteht Druck, mithalten zu müssen. Ein starker medialer Fokus auf Krisen auf der einen und auf technologischen Fortschritt auf der anderen Seite geben uns oft das Gefühl, Zukunftsszenarien seien bereits ausdifferenziert. Das eigene Handeln wird auf die vorherrschenden Trends und Zukunftsbilder abgestimmt, ungeachtet der Tatsache, ob dies den eigenen Werten entspricht oder gesellschaftlich sinnvoll ist. Woher kommt das? Wir unterschätzen die unsichtbare Kraft von Zukunftsbildern. In einer Welt, die von Wandel und Komplexität geprägt ist, beschreibt Zukunft längst nicht mehr nur das, was morgen kommt, vielmehr steht Zukunft für eine besondere Sicht auf die Welt und meint ein Bewusstsein, das ganz neue Denk- und Handlungsräume eröffnet – die Grundlage für Transformation und Kulturwandel.

In einer Welt, die von Wandel und Komplexität geprägt ist, beschreibt Zukunft längst nicht mehr nur das, was morgen kommt, vielmehr steht Zukunft für eine besondere Sicht auf die Welt und meint ein Bewusstsein, das ganz neue Denk- und Handlungsräume eröffnet – die Grundlage für Transformation und Kulturwandel.

DIE KRAFT VON ZUKUNFTSBILDERN

Denkt man zurück an die „Erfindungen“ der Star-Trek-Serie, hat man das Gefühl, dass einiges geradezu prophetisch wahr wurde. In der Zukunftsforschung sprechen wir vom Interventionsparadoxon. Denn: Zukunftsbilder in Form von Science-Fiction, Visionen, aber auch Innovations-Narrative, wie beispielsweise aktuell die Reise zum Mars, stellen ein zentrales Werkzeug dar, welches uns bewusst und unbewusst in eine bestimmte Richtung zieht und damit auch beeinflusst, wohin sich eine Gesellschaft bewegt. Gedankliche Vorstellungen sind damit zentral für die Gestaltung unserer Realität. Der Globalhistoriker Yuval Harari schreibt sogar, dass das gemeinsame Glauben an Mythen das ist, was uns als Menschen zusammengebracht hat und die Basis von Kultur und Ideologie bildet. Vorstellungskraft liegt in jedem von uns und kann (re-)aktiviert werden.

DIE EIGENE VORSTELLUNGSKRAFT

Bilder und Sprache sind machtvoll. Sie wirken sich entscheidend auf unsere Haltung und Sichtweisen aus und damit auch auf die eigene Vorstellungskraft und Zukunft. Aktuell liegt der Fokus unserer Kommunikation aber vor allem auf der Krisenbekämpfung und Negativität. Dadurch verengt sich unser Sichtfeld. Unser Blick wird einseitig geschärft und lässt vieles andere unscharf werden. Folglich zentriert sich unser Gehirn und verfällt seinem eigenen Bestätigungs-Bias (= gedankliche Verzerrungen). Haben wir ein gebrochenes Bein, sehen wir auf einmal viele Menschen mit Krücken – weil wir unbewusst den Fokus darauf legen. Gleiches gilt auch für Zukunft. Wir können aktiv darauf einwirken, wie wir unser Umfeld wahrnehmen. Fokussieren wir verstärkt alternative und positive Bilder, entdeckt unser Gehirn die passenden Signale. Ein Klima der Angst aber ermutigt niemanden. Was wir brauchen sind starke Visionen und Bilder, die begeistern. Nur so berührt uns Zukunft und lässt uns aktiv werden.

FÜR EINE MÜNDIGE GESELLSCHAFT

Zukunftsgestaltung ist keine Kompetenz, sondern meint das Zusammenspiel von Qualitäten wie systemisches, visionäres und kritisches Denken, sowie Offenheit, Neugierde, Mut, Selbstbewusstsein und

in Aktion kommen. Die UNESCO verwendet hier das Konzept „Futures Literacy“. Im Kern geht es um die Fähigkeit der Erkennung und Erkundung der menschlichen Vorstellungskraft, da „Zukünfte mentale Konstruktionen sind. Diese Fähigkeit tragen wir länger in uns als das Gehen oder Sprechen. Und diese Gestaltungskraft brauchen wir jetzt dringend, denn vor uns liegt ein Zeitalter der Transformation. Alternativen zum Status quo müssen gesucht werden. Es geht darum, gemeinsam eine Zukunft zu schaffen, die sozial, technologisch und nachhaltig inklusiv ist. Die Basis hierfür bilden wertschätzende Gespräche, gemeinsames Sinnieren und offene Diskurse. Neben Vorstellungskraft und Mut braucht die Gestaltung eines guten Anthropozäns deshalb vor allem eines: mehr Zeit.

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Zeit für mehr Loyalität.